Hexenringe sind faszinierend. Es sind runde Wuchsbilder von Pilzen, die dadurch entstehen, dass das Myzel eines Pilzes sich nach allen Seiten ausbreiten möchte, aber die Nährstoffe für diese Pilzart in der Mitte bereits aufgebraucht hat und deshalb nur nach außen wachsen kann. Das Innere des Kreises ist also pilzfrei, während der Pilzkreis sich an der Peripherie immer weiter ausbreitet. Im Volksglauben bleibt diese Mitte deshalb ohne Pilze, weil dort ein Tanzplatz von Hexen sei.
Betrachtet man unsere Dörfer und Städte, liegt ein Vergleich zu einem Hexenring nah. Das Zentrum ist wie ausgestorben, mit unbewohnten Hausruinen, heruntergekommenen Wohnhäusern, geschlossenen Geschäften mit zugeklebten Fenstern und Parkplätzen, wo früher Häuser standen. Warum sollte man auch die Häuser im Zentrum in Schuss halten, die Sandsteinsockel trocken legen und den Verputz erneuern, wenn sie doch unverkäuflich sind, weil alle an der Peripherie neue Häuser bauen?
Früher hatte das Zentrum eine starke Anziehungskraft: kurze Wege zum Markt, zu Fachgeschäften, zum Rathaus und zu Handwerksbetrieben hat sie attraktiv gemacht. Es gab Bäcker – bei jedem schmeckte das Brot anders, Metzger, die sich auf einige Produkte spezialisiert hatten und Eisenwarengeschäfte, bei denen man „…so `nen Winkel mit `ner Schraube dran“ bekam, weil der Ladenbesitzer ein Näschen dafür hatte, was der Kunde eigentlich wollte. Und es gab Ärzte, Kneipen und Restaurants. Und Schulen waren in fußläufiger Entfernung.
Heute hat sich das Zentrum an die Peripherie verlagert: Wohnhäuser werden nur noch in neu erschlossenen Siedlungsgebieten gebaut, Einkaufszenten entstehen auf der grünen Wiese, Verwaltungszentren werden nach außerhalb verlegt, Schnellimbisse liegen „verkehrsgünstig“ an der Autobahn und die Kneipen sind geschlossen, weil die Kundschaft außerhalb wohnt. Und Schulen sind zu „Schulzentren“ in der Nachbarstadt geworden, die so unübersichtlich sind, dass die Kinder sich nicht mehr kennen.
Was sind also die Nachteile?
- Die Gemeinden verlieren ihren Charme und ihre Anziehungskraft, die Zentren sterben.
- Es entstehen reine Schlafstädte, in denen tagsüber nichts los ist, man sieht keine Menschen.
- Der Flächenfraß wächst und wächst.
- Für jede Besorgung braucht man ein Auto, alte Menschen haben keine Chance mehr, selbstständig zu leben, weil sie nicht mehr einkaufen können und der Arzt für sie unerreichbar ist.
- Die Gemeinden sind pleite, weil immer mehr Flächen erschlossen werden müssen, die bereits erschlossenen werden nicht mehr genutzt.
Früher wurden Häuser von mehreren Generationen genutzt, sie wurden je nach Bedarf umgebaut oder erweitert. So blieben die Siedlungen kompakt. Sogar als die Häuser (bis ins 12. Jahrhundert) noch in Pfostenbauweise errichtet wurden und deshalb nach wenigen Jahrzehnten die Pfosten durchgefault waren, wurde für jede Generation ein altes Haus abgerissen und an seiner Stelle ein neues gebaut. Das neue Haus wurde nicht an eine neue Stelle gebaut, weil die Gemeindemitglieder nicht bereit waren, den Aufwand für eine erweiterte Einfriedung – heute würde man das Erschließungskosten nennen – zu leisten. Auch war niemand bereit, lange Wege zum Brunnen und zu Nachbarn hinzunehmen. Also wurde der schon erschlossene Grund von Generation zu Generation weitergegeben und genutzt.
Wir sind keine Pilze, wir verbrauchen nicht die Nährstoffe des Bodens, auf dem wir wohnen. Deshalb müssen wir nicht im Zentrum unserer Gemeinden einen Hexentanzplatz frei lassen, wir können den Zentrifugalkräften der „modernen“ Städteplanung, die unsere Siedlungen zu zerreißen droht, entgegentreten, denn die hat sich überlebt. Dazu braucht es Bauämter, die auch einmal ungewöhnliche Planungen zulassen und Bürgermeister, die nicht ständig Neubaugebiete erschließen, um sich möglicherweise ein Denkmal zu bauen oder um vielleicht ihren Freunden, denen die Äcker gehören, die Bauland werden, Gewinne zuzuschanzen. Und wir brauchen Bürger und Unternehmer mit Ideen, die unsere Gemeindezentren wieder attraktiv machen.
Wir sollten unsere Gemeinden, unsere Dörfer und Städte erhalten – ganz im konservativen Sinne. Wie das geht, das können wir von unseren Vorfahren lernen, denn die „modernen“ Schlafstädte, die toten Neubaugebiete, Suburbias und Banlieues, in denen die Jungen rumhängen und vor lauter Langeweile Blödsinn machen, und in denen die Alten nach der Arbeit nur noch vor der Glotze hängen, weil sie keine besseren Möglichkeiten bieten, die haben sich nicht bewährt.
Autor: Roland Scherer